Die Eisenberger Esse
Eine kleine Kulturgeschichte zu den Schornsteinen Eisenbergs
Notgeldschein aus den 20er Jahren der Stadt Eisenberg mit zehn Industrieschornsteinen
Schornstein der Dampfziegelei Traugott Müller in der Königshofener Starße in Eisenberg nach 1900
"... machen den Besucher darauf aufmerksam, daß er ein Industriestädtchen vor sich hat." So beschreibt 1921 der Eisenberger Stadtbaumeister Erich Koscharé den ersten Eindruck der Stadt.
Und recht hatte er. Um die 40 große und kleine Industrie-Schlote ragten vor 100 Jahren in den Himmel über Eisenberg. Sie waren der Stolz der Bewohner. Denn sie zeigten, dass die Stadt "boomte".
Die Firmen warben damit, dass ihre Produktion "mit Dampfbetrieb" erfolgte. Eine Dampfmaschine war Zeichen von Fortschritt, Schnelligkeit und Zukunftsfähigkeit.
Zu den Hauptgeschäftszeiten "wogt es in den kleinen Straßen wie in manchen Industriezentren", schreibt der Stadtbaumeister Eisenbergs. "Der industrielle Charakter der Stadt spiegelt sich in seinem baulichen Zustande."
Schornsteine der Randhahnwerke in Eisenberg. Die Fabrik stellte feuer- und säurefeste Ziegel, Platten und Schamottewaren her.
Mitten in der Stadt, gleich hinter dem Marktplatz, stand der Schornstein der Wurstfabrik Herlth. Er war dem Besitzer - samt zugehöriger Betriebsanlage - so wichtig, dass er auf einer Postkarte zu Werbezwecken abgebildet wurde. Heute sind Einwohnermeldeamt und Stadtarchiv in dem umgebauten Gebäudeteil am Markt untergebracht.
Industrieschornsteine galten weniger als Umweltverschmutzer.
Vielmehr waren sie Verheißer von Wohlstand und steigendem Einkommen.
Nicht nur in Eisenberg: Großes Vorbild für alle Industriestädte war in dieser Hinsicht das Ruhrgebiet. Seine Stadtsilhouetten waren geprägt von Fördertürmen der Zechen und von Schornsteinen - ein Bild des Fortschritts, das auch der Brockhaus - die Enzyklopädie, die in keinem Haushalt fehlte - im Bild darstellte (Hier in der Ausgabe von 1973, S. 187).
In der Zeit der Weimarer Republik gab es Firmen, die sich auf den Bau von Schornsteinen für Industriebetrieb spezialisiert hatten. Sie warben um Aufträge auch bei den Eisenberger Industriellen, wie hier im Bild z.B. die Baufirma Schönleiter & Stöhr aus Meuselwitz.
In der DDR konnte der Schornsteinbau in zwei Varianten gelöst werden:
Entweder eine fabrikeigene "Baubrigade" zog die Esse hoch; zum Teil unterstützt durch einen zweitweise eingestellten Spezialisten für Essenbau - so geschehen bei dem Hauptschornstein des VEB Sanitätechnik in den 70er Jahren.
Oder man engagierte eine der wenigen großen Baufirmen wie das Spezialkombinat Magdeburg.
Dieses baute z.B. auch einen Tunnelofen im Porzellanwerk Kahla u.a. Großprojekte im In- und Ausland.
Original-Dampfmaschine aus dem Eisenberger Stadtteil Saasa. Der Haushalt, zu dem sie gehörte, lag vis-a-vis dem heutigen Heizkraftwerk,
So selbstverständlich gehörten die Fabrikschlote zum Alltag, dass sie auch Eingang in die Welt des Kinderspielzeugs fanden.
In Kinderbüchern der Zeit bildeten die Illustratoren Städte nun mit Industrieschornsteinen ab. Ein besonders wertvolles Spielzeug - welches in der Regel nur in Anwesenheit des Vaters in Betrieb genommen werden durfte - war ein Dampfmaschine inklusive Esse.
Zeitgenössische Kinderbuchillustration mit Schornsteinen von Industrieanlagen
Die Schamottefabrik Gebr. Kämpfe war über viele Jahre der größte Arbeitgeber in Eisenberg. Sie belieferte "wohl unstreitig als führendes Werk in Thüringen" Deutschland und Nachbarstaaten mit feuerfesten Schamottesteinen.
In der Stadt Eisenberg waren energieintensive Branchen angesiedelt. Dazu gehörten zum Beispiel Ziegeleien, Porzellanfabriken und Schamottewerke. Aber auch die holzverarbeitende Industrie war ein energieintensives Gewerbe.
Holzfäller bei Eisenberg zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
Der Waldreichtum des angrenzenden Holzlandes war Voraussetzung für die Ansiedlung all jener Unternehmen, bei denen später Schornsteine rauchten.
Auch die Nachbarstädte Eisenbergs wie Hermsdorf und Kahla konnten auf diese Weise energieintensive Betriebe ansiedeln.
Ein Film aus den 20er Jahren zeigt in seinen ersten Sequenzen Bilder aus dem Eisenberger Furnierwerk "Wilhelm Manig" und gibt einen kleinen Eindruck von der Größe der holzverarbeitenden Industrie:
Im Gegensatz zu andere Industriestädten verfügte Eisenberg auch über eigene Tonvorkommen.
Deshalb konnten die Unternehmen der Stadt ihre Betriebsgebäude und auch Schornsteine mit Ziegeln und Schamottesteinen aus der Region bauen. Das sparte Zeit und Geld.
Zudem waren die Eisenberger Ziegel-Fabrikanten, insbesondere die Firma Borgfeldt, auch Treiber von Innovationen. Der WIBO-Ziegelstein arbeitet mit Luftkammern und wurde erfolgreich patentiert. Ziegelindustrie ist bis heute in Eisenberg ansässig.
Auf dem Gelände der Firma Borgfeldt. Im Hintergrund die Schornsteine der Ziegelei an der Siebenfreude.
Eisenberger Vollziegel verbaut im Jahr 1914 in einem Wohngebäude
Zweifellos die Eisenberger Branche mit den meisten Schloten: die Porzellanindustrie. In den 30er Jahren arbeiteten nicht weniger als vier Fabriken in der Stadt. Ihre Essen prägten das Bild um so mehr, da sie nicht nur die Abgase von Dampfmaschinen, sondern auch von Brennöfen nach oben beförderten. Ältere Eisenberger berichten, dass mitunter Flammenspitzen aus den Schornsteinen entwichen.
Im Jahr 2001 wurde bereits die 2. Generation an Industrieschornsteinen abgerissen. In der Fabrikstraße folgte den Schornsteinen der Porzellanfabrik Reinecke (Abriss in der 1970er Jahren) der Abriss der - kleineren - Schornsteine des VEB Sanitärtechnik, der das Gelände später nutzte.
Eintrag zum Thema "Schornstein" im Brockhaus des Jahres 1938
Der Deutsche Architektur- und Industrieverlag Berlin-Halense "DARI" veröffentlichte in den 1920er Jahre eine Schriftenreihe zum Thema Städtebau. Das Signet dieser Reihe zeigt eine Stadtsilhouette mit Schornsteinen.
Auch die Stadt Eisenberg wurde 1921 in der Reihe vorgestellt. Die meisten der hier gezeigten Bilder von Schornsteinen Eisenbergs stammen aus der Veröffentlichung.
Welcher Schornstein gehörte zu welchem Unternehmen? Das ist heute schwierig zuzuordnen. Diese Postkarte aus den 30er Jahren zeigt mit 16 Schloten (farbig markiert) nur einen Teil der Anlagen, v.a. der feuerfesten Industrien in Bahnhofsnähe. Weiter südwestlich und hier nicht im Bild sind z.B. Wurstfabriken, Lederfabriken und die Klavierbetriebe in der Jenaer Straße.
Blick vom Süden auf Eisenberg im Januar 2025
Natürlich konnte es so nicht bleiben. Die Schornsteine waren eine Umweltbelastung.
Doch verschwunden sind sie vor allem, weil Eisenbergs 200jährige Geschichte als Industriestadt mit der Wende zu Ende ging. Die wesentlich geringere Zahl an Betrieben, die heute hier arbeiten, setzen auf moderne, umweltfreundliche Technologien. Im Jahr 2025 ist Eisenbergs Himmel klar. Die Schlote, die einst so prägend für das Stadtbild waren, sind nur noch eine Erinnerung.
Am 12. Januar 2025 fiel die letzte große Esse an der Jenaer Straße in Eisenberg.
Eisenberger Familien
Stadtarchiv der Stadt Eisenberg
sowie
Kulturförderung des Saale-Holzland-Kreises - Projektförderung -
Kunst- und Kulturpreis des SHK 2023 -
in Zusammenarbeit mit Sparkasse Jena
Ein Projekt von Nicole Schäufler
nicole.schaeufler@gmx.de
Karl-Spahn-Straße 8, 07607 Eisenberg
Tel: 0151/50003191